«Wir müssen jetzt Wirbel machen!»


Foto: Rundschau, I. Scherer | ZVG: IG OSN
Nirgendwo ist der Widerstand gegen die «Oase» so gross wie im Siggenthal. Nun machen die Gegner mobil. Das Ziel: möglichst viele Mitwirkungen.

Zwischen 500 und 600 Interessierte strömten am Montagabend in den Gemeindesaal in Nussbaumen, wo die IG «Oase so nicht» zum Infoabend eingeladen hatte. Eine Siggenthalerin brachte es im vollen Saal auf den Punkt: «Ich zügelte vor 19 Jahren hierher, weil es eine ruhige und schöne Gegend war», erklärte die Frau. Mittlerweile aber sei es für sie als Fussgängerin schon gefährlich, die Strasse zu überqueren – «wo führt das hin?» Dafür erntete sie Applaus.

Das regionale Gesamtverkehrs- Konzept (rGVK) Oase sei eine «unsägliche Vorlage aus Siggenthaler Sicht», sagte Eugen Frunz senior von der IG Oase so nicht, die von allen ortsansässigen Parteien unterstützt wird. Aber er machte auch sofort klar, dass es ihnen nicht darum gehe, das Riesenprojekt zu verhindern: «Teile davon können wir jedoch einfach nicht hinnehmen, weil wir im Siggenthal den Verkehr haben und ihn bewältigen müssen.» Während die Oase etwa Baden und Brugg deutlich entlaste, werde für das Siggenthal nichts getan, so Frunz. «Wir wollen die durch den Verkehr schon heute eingeschränkte Lebensqualität verbessern und verlangen, dass die Zentrumsentlastung von Baden im Richtplan ohne konkrete Entlastung des Siggenthals nicht festgesetzt wird.»

Bereits heute wälzen sich jeden Morgen bis zu 23 000 Autos durch die Gemeinden und stehen an der Siggenthaler Brücke im Stau – genauso viele wie an einem Tag durch den Gotthard fahren! Viele davon sind Pendler aus dem Unteren Aaretal oder aus dem deutschen Grenzgebiet. Die Prognosen des Kantons sehen bis 2040 eine Zunahme der Bevölkerung um 30 Prozent (plus 50 000 Menschen), was wiederum eine 40-prozentige Zunahme des motorisierten Individualverkehrs nach sich zieht. Der Verkehrskollaps scheint programmiert.

Anleitung für Opposition
Hermann Merwar erklärte einleitend das Projekt Oase und zeigte die vier kritischsten Knotenpunkte: Sie werden bei Inbetriebnahme des Oase-Konzepts 2040 überlastet sein. «Ab 25 000 Autos steht der Verkehr auf der Nussbaumer Landstrasse, wir werden also morgens und abends je vier Stunden Stau haben», prognostizierte Merwar. An die Versuche, den Verkehr auf die andere Seite der Limmat zu verlegen, glauben die Siggenthaler nicht mehr: «Das wird schon seit 2002 diskutiert, ist aber bis heute nicht umgesetzt worden.»

Da es sich nicht um ein Bauprojekt handelt, sondern um einen Richtplan, versucht die IG auf bilateralem Weg, den Kanton und die Politiker zu sensibilisieren. «Wir müssen auch die Grossräte aus anderen Bezirken für unser Anliegen gewinnen, sodass der Regierungsrat nicht mehr darum herumkommt, den Richtplan anzupassen», fordert Frunz.

Der Bevölkerung steht nur ein Mittel zur Verfügung: ein Massenprotest bei der Mitwirkung. Die IG forderte deshalb die Anwesenden auf, möglichst viele Eingaben im Mitwirkungsverfahren des Kantons zu machen, das bis 17. Januar 2020 läuft. Ein mit möglichen Antworten ausgefüllter Bogen lag bereits am Eingang auf. Zudem hat die IG den Fragebogen und Hilfestellung auf ihrer Website (www.oase-siggenthal.ch) aufgeschaltet. Das Formular kann online ausgefüllt oder als Ausdruck nach Aarau geschickt werden.

«Die Chancen sind intakt»
Manche Fragen auf dem Formular seien jedoch suggestiv oder gar manipulativ, warnte Max Läng von der IG: «Lehnen Sie deshalb möglichst viele Fragen ab, auch wenn Sie vielleicht inhaltlich teilweise einverstanden sind, aber die Art der Fragestellung nicht klar ist.» Als Beispiel nannte er Frage Nr. 2c betreffend die Velohaupt- und Vorzugsrouten, wo steht: «Der Kanton beabsichtigt, (…) sich finanziell zu beteiligen.» Läng: «Was heisst beabsichtigt? Wer garantiert, dass der Kanton auch tatsächlich Geld zahlt?» Aus diesem Grund sei die Frage mit «komplett dagegen» zu beantworten.

Abschliessend appellierte Eugen Frunz nochmals: «Wir müssen jetzt Wirbel machen! Sie alle haben es in der Hand, in diesem Verfahren Wirkung zu erzeugen!» Nur mit breiter Unterstützung könne man sich in Aarau Gehör verschaffen. «Dann sind die Chancen auf eine bessere Lösung für das Siggenthal intakt.»

DIE SIEBEN HAUPT-KRITIKPUNKTE DER IG «OASE SO NICHT»

1. Vom Gesamt- zum Teil-Verkehrskonzept entwickelt: Limmattalbahn (LTB) und neue Limmatbrücke sind wichtige Bausteine im Gesamtkonzept, gehören bei der Festsetzung im Richtplan aber nicht dazu. Dafür die Sperrung der Hochbrücke, die es bei einer Ablehnung der LTB nicht braucht.

2. Unfaire Behandlung: Mehrere Gemeinden mit teils erheblich geringeren Belastungen haben Umfahrungen erhalten oder erhalten diese mit Oase. Zur Entlastung von Baden werden rund 400 Millionen Franken in Strassen investiert, in Unter- und Obersiggenthal gerademal 13 Millionen. Dies, obwohl in den Siggenthaler Gemeinden mehr Einwohner vom täglichen Verkehr betroffen sind.

3. Unrealistische Verkehrsprognosen: Der Kanton berechnet in Obersiggenthal durchschnittlich 23 900 Autos pro Tag. Die IG geht von 25 200 bis gut 30 000 Autos aus.
4. Veloverkehr: Die Verdreifachung in diesem Bereich wird nicht stattfinden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Velohauptverbindungen priorisiert werden, vor den Velovorzugsrouten.

5. Ungenügender Massnahmenkatalog zur Reduktion des Ziel-Quellverkehrs: Das Zentrum von Baden ist zu attraktiv für den Verkehr. Es bräuchte zukunftsgerichtete Ansätze wie Reduktion des Parkplatzangebots im Zentrum und konsequente Bevorzugung von ÖV.

6. Nicht siedlungsverträglich: Täglich passieren zwischen 24 000 und 30 000 Autos das Siggenthal. Der Kanton bezeichnet über 20 000 als nicht siedlungsverträglich. Bereits heute werden die Grenzwerte für 1367 Personen entlang der Landstrasse überschritten. Wo sind die Massnahmen gegen die unzumutbaren Lärm-, Feinstaub- und Abgasemissionen?
7. Vertrauen: Die Siggenthaler sind gebrannte Kinder. Entgegen den Versprechungen des Kantons musste nach dem Bau der Siggenthaler Brücke mehr als eine Verdoppelung des Verkehrs hingenommen werden.

Rundschau, Ilona Scherer

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2 Kommentare

  1. Auch wenn der Richtplan durch Einsprachen verändert wird und unsere Gemeinde nicht stärker belasten sollte, können wir mit einer ansteigenden Bevölkerungsentwicklung nicht vermeiden, dass der Verkehr zunimmt. Da hilft von der Menge her auch die E-Mobilität nichts! Meines Erachtens gäbe es nur eine einzige Alternative, die Zulassung von Fahrzeugen zu reduzieren. Was nützt es, wenn wir Milliarden in neue Verkehrsprojekte stecken, um eines Tages festzustellen, dass der Mehrverkehr wiederum zu den gleichen „Notständen“ auf der Strasse geführt hat? Wenn unsere Gesellschaft menschenwürdig überleben will, braucht es „dirigistische“ Massnahmen und nicht endloses Wachstum (reduzieren statt verschieben!). Also ein Verzicht von jedem Einzelnen auf allen Komfort dieser Welt und Akzeptation von Entscheidungen, die weh tun im Interesse der Gemeinschaft und unseren nachfolgenden Generationen. Da müssen wohl unsere Demokratien neue unbequeme Wege gehen, die vielleicht im Moment noch gar nicht in unserem Bewusstsein angekommen sind! Dies gilt nicht nur für die Strasse, sondern für alle Lebensbereiche!

    1. Lieber Pfirter, seit langem wieder mal ein sehr intelligenter Kommentar, den ich hier lesen durfte. Das Problem ist die Wirtschaft und die Natur des Menschen. Eine zweckgebundene Mobilität, welche die Freiheit einschränkt – wäre eine Möglichkeit. Es würde zumindest dazu führen, dass mehr Bewusstsein für Umwelt und Mobilität entsteht. Aber dieses Bewusstsein muss von Politik, Wirtschaft und der Bevölkerung gleichermassen entstehen und getragen werden

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